Musik als Brücke – Anselm Grün über Spiritualität, Gemeinschaft und das verbindende Element des Gesangs

Benediktinerpater und Bestsellerautor Anselm Grün spricht über seine tiefgehenden spirituellen Erfahrungen mit Musik und darüber, wie gemeinsames Singen Menschen verbinden kann. Aufeinander hören ist für ihn der Schlüssel zu einem harmonischen Miteinander – im Gesang wie im Leben.

Lieber Pater Anselm, welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?

Als Kinder haben wir gerne in der Familie die Weihnachtslieder miteinander gesungen Im Gymnasium habe ich dann Cello gespielt. Und im Kloster hat mich der gregorianische Choral immer begleitet. Seit 60 Jahren singe ich in der Schola. Bei meinen Autofahrten höre ich immer klassische Musik, Mozart und vor allem die vielen Bachkantaten. Wenn ich Zeit habe, höre ich im Zimmer am Abend gerne mit Kopfhörer geistliche Musik und lasse sie in den ganzen Leib und in die Seele eindringen. Das sind für mich tiefe spirituelle Erfahrungen. Musik ist für mich immer – wie Joachim-Ernst Berendt scheibt – ein Hinübergehen in eine andere Welt, nicht als Flucht vor der Realität, sondern um von der anderen Welt diese Welt besser bestehen zu können.

Kirche und Musik – ist das eine ohne das andere überhaupt denkbar?

Die Kirche hat seit Anfang an die Musik geschätzt. Der Bischof Ambrosius hat im 4. Jahrhundert viele Menschen durch die Hymnen angezogen, die in seiner Kirche gesungen wurden. Die Liturgie blieb die ganzen Jahrhunderte hindurch nie ohne Gesang. Aber auch viele geistlichen Texte wurden von Komponisten vertont: die lateinischen Messen, das Salve Regina, Stabat mater und viele andere mehr. Die Kirche war Auftraggeber vieler Musikwerke und zugleich der Ort, an dem sie ausgeführt wurden. Der Ursprung der Musik war spirituell. Auch die heutige Spiritualität braucht die Musik, um tiefer in die Seele eindringen zu können.

Sehen Sie im gemeinsamen Singen und Musizieren das Potential für mehr Teilhabe?

Schon die Kirchenväter haben das gemeinsame Psalmensingen als einen Weg zur inneren Verbundenheit der Menschen untereinander verstanden. Indem alle die Psalmen auf dem gleichen Ton singen, werden die Menschen miteinander eins, so beschreiben es manche Kirchenväter. Das gemeinsame Singen verlangt auch ein Hören aufeinander und ein Sicheinlassen auf die andern. Es schafft also Gemeinschaft.  Alle wirken gemeinsam, wenn sie miteinander singen. Es entsteht ein Gemeinschaftswerk, an dem alle teilhaben. Das Miteinandersingen schafft nicht nur in der Kirche, sondern auch sonst Gemeinschaft, etwa, wenn Jugendliche gemeinsam am Lagerfeuer singen, oder wenn an großen Chorfestivals alle miteinander singen. Das schafft Verbundenheit über alle Grenzen hinweg.

Was können wir darüber hinaus tun, um in unserer Gesellschaft ein neues Miteinander zu leben?

Was im gemeinsamen Singen geschieht, das ist auch eine Herausforderung für unser Miteinander in der Gesellschaft. Die erste Bedingung ist, dass wir aufeinander hören und dass wir den andern verstehen, anstatt ihn zu bewerten. Und das gemeinsame Singen zeigt uns noch einen anderen Weg. Die zweite Bedingung ist, dass wir in Einklang kommen mit uns selbst, nur dann können wir auch zusammenklingen mit anderen Menschen, auch wenn die andere Stimmen haben. Aber die Kunst bestünde eben darin, die verschiedenen Stimmen zu einem Zusammenklang zu bringen und nicht zu einem Gegeneinander oder zu einem sich gegenseitig Übertrumpfen. Wenn wir gemeinsam singen, müssen wir die Stimmen der andern gelten lassen. Aber wir müssen die verschiedenen Stimmen doch aufeinander abstimmen.

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