Eine neue musikalische Heimat – das schafft die Musikakademie für Seniorinnen und Senioren Baden-Württemberg

Der Initiator und Leiter Ulrich Mangold verrät im Interview, wie Musik gegen Einsamkeit wirkt und älteren Menschen die Möglichkeit schenkt, lang gehegte Träume zu verwirklichen.

Herr Mangold, die Musikakademie für Senioren bietet älteren Menschen eine Plattform, musikalisch aktiv zu sein. Was war Ihre Motivation, dieses Projekt ins Leben zu rufen, und wie hat es sich seitdem entwickelt? 

Als Kirchenmusiker leite ich verschiedene Chöre und erhalte oft Anrufe von Menschen, die mitsingen möchten, jedoch Bedenken haben, weil sie lange nicht gesungen haben, wenig Erfahrung haben und jetzt in den Ruhestand kommen. Ich zögere bei solchen Anfragen, da ich einen transparenten, wandlungsfähigen Chorklang anstrebe, der junge, erfahrene und flexible Stimmen benötigt.

Es machte mich nachdenklich: Hier melden sich Menschen, die musikalisch aktiv werden möchten, neue Betätigungsfelder und Kontakte suchen, aber unsicher sind. Viele haben sich während ihres Berufslebens den Wunsch bewahrt, irgendwann musikalisch aktiv oder wieder aktiv zu werden. In der Kindheit und Jugend hatten sie oft schöne Erfahrungen mit Musik, haben gerne gesungen oder ein Instrument erlernt. Während der Berufsjahre oder Familienphase fehlte die Zeit fürs aktive Musizieren. Jetzt möchten sie ihren langgehegten Traum verwirklichen, aber es fehlen die passenden Chöre und Ensembles, in denen sie sich ausprobieren und Erfahrungen sammeln können. Viele nehmen kurz vor dem Ruhestand Kontakt zu Instrumental- oder Gesangspädagoginnen auf, um (wieder) Unterricht zu genießen. Das neu Erlernte möchten sie dann im Ensemble anwenden.

Für diese Menschen fehlen gezielte Angebote. Genau für diese Menschen haben wir die Musikakademie für Seniorinnen und Senioren gegründet. Daneben gibt es viele musizierende Menschen, die ihr ganzes Leben lang gesungen oder ein Instrument gespielt haben. Sie waren in ambitionierten Chören oder Orchestern aktiv, empfinden Konzerte und lange Aufführungen mit zunehmendem Alter als zu anstrengend. Auch sie wünschen sich eine neue musikalische Heimat und fühlen sich wohl bei uns.

Wie reagieren die Teilnehmenden auf die Möglichkeit, in einem höheren Lebensalter musikalisch aktiv zu werden? Welche Rolle spielt Musik in ihrem Alltag?

Mit jeder Faser bringen die Teilnehmenden zum Ausdruck, dass Singen und Musizieren glücklich machen. Es ist gesundheitsfördernd, sogar Demenzpräventiv, denn beim Singen ist der ganze Körper aktiviert, der Kopf hellwach, die Vernetzung der Gehirnhälften gesteigert, die Atmung optimiert. Wir werden Teil einer großen Gruppe, leben gemeinschaftlich Emotionen aus. Nach jeder Probe wird geklatscht und schon oft wurde gesagt, „die Proben sind meine wöchentliche Wellnesskur“.

Können Sie uns einen Einblick in die Struktur und das Programm der Akademie geben? Welche musikalischen Schwerpunkte bieten Sie den Senioren an?

Im Vordergrund steht das aktive Musizieren:

  • im Chor mit dem Zusatzangebot Stimmbildung in der Gruppe und einzeln
  • im Orchester
  • in der Jazz-Band, den „MuSe-Jazzern“
  • punktuell gibt es Kammermusikkurse, Jazz-Basics-Kurse oder Kurse für Blockflötenspielerinnen und -spieler
  • zusätzlich gibt es Seminare wie „Musikwissen um 5 nach 5“ zu Themen der Musikgeschichte, Exkursionen und Besichtigungen

Wie fördert die Akademie nicht nur musikalische Fähigkeiten, sondern auch das soziale Miteinander und den Austausch zwischen den Teilnehmenden?

In den Ensembles sind schon viele Kontakte und neue Freundschaften geknüpft worden, man verabredet sich zum Kaffee, zu einem Spaziergang, zum Musizieren oder zum gemeinsamen Konzertbesuch. Die regelmäßigen Proben geben der Woche eine Struktur, die Kaffeepause, während der Proben regen das unkomplizierte, miteinander ins Gespräch kommen an. Mit zunehmendem Alter nehmen oft die Kontakte ab, keine KollegInnen mehr, PartnerInnen und FreundInnen versterben. Über das gemeinsame Ziel des Singens und Musizierens ergeben sich spielerisch neue Kontakte.

Welche besonderen Herausforderungen oder Erfolge haben Sie in Ihrer Arbeit mit älteren Musikern erlebt, die für Sie persönlich prägend waren?

Die große Dankbarkeit der Teilnehmenden motiviert mich zu dieser zeitintensiven, zum Teil ehrenamtlichen Aufgabe. In keinem meiner vielen Ensembles und Chöre wird die Begeisterung für das gemeinsame Singen und Musizieren direkter ausgedrückt. Die Gründung der Musikakademie als selbständiger Verein, ohne Blaupause, nur auf Eigeninitiative hin, war die größte Herausforderung.

Gibt es neue Projekte oder Initiativen, die Sie in den kommenden Jahren verwirklichen möchten?

Der große Zuspruch zeigt, dass es richtig war dieses neue Musizierformat zu schaffen: Ensembles die tagsüber Proben, gezielt für Menschen im Ruhestand. Schön wäre es, ein Netzwerk zu schaffen, noch mehr Austausch zu haben mit anderen Musik-Angeboten für diese Zielgruppe, um gemeinschaftliche Projekte anbieten zu können, z.B. Chorfreizeiten, in denen ein bestimmtes Werk erarbeitet wird.

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