Interview mit Ralf Schuband
Sie leiten bei Diakoneo ganz verschiedene Chöre in Einrichtungen für geistig Behinderte, Demenzerkrankte, in der Psychiatrie und in Haftanstalten. Was verbindet all diese Chöre und was unterscheidet sie?
Man sollte sich für geistig Behinderte Menschen und Menschen mit Demenz viel Zeit nehmen. Es ist wichtig, intensiv mit diesen Menschen zu kommunizieren und ihnen zuzuhören. Um ihnen Sicherheit zu geben, sollte man rituelle Abläufe erschaffen, die nach und nach durch eigene Erfahrungen ergänzt werden können. In einem Chor dürfen alle mitmachen, keiner sollte überfordert oder unterfordert sein. Unter dem Motto „Zusammen singen macht Spaß“ ist es mir gelungen, einen Männergesangsverein, einen gemischten Chor, einen Werkstattchor und einen Chor der offenen Hilfen für verschiedene Auftritte zusammenzubringen. Gemeinsame Proben sind allerdings nicht möglich. Da ich aber in allen Chören der Chorleiter bin, kann ich mit jedem Chor vorab exakte Vorbereitungen treffen. Tatsächlich ist dann alles super gelaufen, die Mitglieder der verschiedenen Chöre haben untereinander viel gelernt, man ist sich nähergekommen, bis man wusste, wie der andere tickt.
„Unter allen Menschen in ihrer Einzigartigkeit durch Musik und Singen eine Gemeinsamkeit herstellen“
Als Mitglied im Vorstand des Fränkischen Sängerbundes sind Sie auch Ansprechpartner für Integration und Teilhabe in der Chorarbeit. Wo sehen Sie vor Ort die großen Baustellen für mehr Teilhabe in der Amateurmusik?
Probleme machen sich die Menschen durch Berührungsängste. Wenn verschiedene Menschen zusammen sind und man jeden einzelnen so nimmt, wie er ist, dann versteht man jedoch schnell, dass jeder Mensch einzigartig ist. Unter allen Menschen in ihrer Einzigartigkeit muss ich als Chorleiter es schaffen, durch Musik und Singen eine Gemeinsamkeit herzustellen. Dadurch können wir alle unseren Erfolg feiern.
Impulse für die Leitung inklusiver Chöre
Für unser Projekt Hier klingt’s mir gut werden Sie verschiedene Impulse für die Leitung inklusiver Chöre zur Verfügung stellen. Können Sie uns jetzt schon verraten, was eine Chorleitung mitbringen muss, um diese Herausforderung zu meistern?
Zunächst sollte jede Chorprobe klar strukturiert sein und sich durch wiederkehrende Abläufe auszeichnen. Als Chorleiter sollte man Wert auf leichte Sprache legen. Das bedeutet: einfache Wörter, Fachwörter und Fremdwörter ersetzen oder erklären, Dinge stets mit denselben Begriffen benennen, den Konjunktiv vermeiden, Aktiv statt Passiv, Genitiv vermeiden, Redewendungen und bildliche Sprache vermeiden, kurze Sätze mit einer Aussage, einfacher Satzbau, Anreden wie bei Menschen ohne Behinderung verwenden.
Man sollte in der Probe das Zwei-Sinne-Prinzip anwenden, damit die Chormitglieder hören, was ich vormache, und Noten, Bilder und Texte sehen und verstehen. Dann muss man den Materialbedarf prüfen, wobei jeder die Auswahlmöglichkeit zwischen Noten und Texten mit Gebärdenbildern und Symbolen haben sollte. Die Außenwirkung ist bei einem Chor ganz wichtig, weswegen entweder alle bei einem Auftritt etwas in der Hand halten oder keiner. Aus der Praxis wird sich dann ergeben, ob weitere Hilfsmittel für die Arbeit benötigt werden. Als Hilfsmittel eignen sich Übungs-CDs oder Vorlesestifte besonders gut. Die Chorgröße und das Verhältnis der Zusammensetzung spielen keine Rolle für eine Inklusionschorprobe. Den Wochentag für die Probe spricht man ebenso mit den Sängerinnen und Sängern ab wie die Uhrzeit.
Bedenken Sie die Barrierefreiheit des Veranstaltungsortes:
- möglichst nahe Anfahrts- und Parkmöglichkeit,
- barrierefreier Zugang, breite Türen, keine Stufen,
- kurze Wege, nahegelegene behindertengerechte Toiletten,
- Sitzmöglichkeiten vor Konzertbeginn,
- idealerweise Rückzugsmöglichkeiten
- Verfügbarkeit von Getränken,
- einfache Handhabung der Garderobe,
- Platz für Rollatoren (bei großer Anzahl: Kennzeichnung, damit diese schnell wiedergefunden werden)
Ehe Menschen mit Behinderung das erste Mal an einer Chorprobe teilnehmen, sollte vorab mit dem Chor ein Gespräch stattfinden, um:
- den Anwesenden Verständnis entgegenbringen zu können.
- die musikalische Darbietung für die Besucher*innen angepasst vorzubereiten.
- anspruchsvollen Situationen im Bedarfsfall mit annähernder Gelassenheit begegnen zu können.
- in der Kommunikationsführung mit am Menschen mit Behinderung sicherer zu werden.
- das Gefühl von Vertrauen bei den Anwesenden hervorrufen zu können. Gezielte Aufmerksamkeit und Achtsamkeit unterstützen die Wahrnehmung der aktuellen Bedürfnislage der Gäste.